Franziska Dürr, Leiterin des Kuverum – CAS Studiengang für Kulturvermittlung, spricht mit Geneviève Hertzog von Kulturvermittlung Schweiz über die aktuellen Entwicklungen im Bereich der Kulturvermittlung, über Herausforderungen und Chancen der digitalen Welt.
Franziska, Kuverum hat seit kurzem die Plattform www.museumzuhause.ch kreiert. Magst du in ein paar Worten erklären, aus welchem Bedarf sie entstanden ist und welches Ziel sie verfolgt?
Die Museen sind im Moment geschlossen. Das heisst, Menschen können dort nicht Kunstwerken und Objekten begegnen, sie können sich nicht mit Anderen darüber austauschen. Die Museen wollen aber den Kontakt zu ihren Besuchenden nicht verlieren und kreieren zahlreiche spannende und inspirierende Online-Angebote für ihr Publikum. Gleichzeitig haben die Menschen zu Hause, insbesondere Familien oder Lehrkräfte, ein grosses Bedürfnis nach Anregungen für sinnvolle Beschäftigungen. Hier bietet sich für die Vermittlung eine Chance, neue Zugänge zu Museen zu öffnen. Ausgehend von der Geschichten-Plattform «Musée imaginaire Suisse» (MiS) wollten wir anregen, in Online-Sammlungen Lieblingsobjekte zu finden und Geschichten dazu zu erzählen. Daraus ist die Idee zur Plattform www.museumzuhause.ch entstanden, weil wir gesehen haben, dass viele Museen tolle Online-Angebote aufgeschaltet haben. «Museum zu Hause» versammelt und verlinkt diese Angebote mit allen Interessierten – und dies nicht nur in der Deutschschweiz, sondern auch in der Romandie und in der italienischen Schweiz. Zusammen mit der Museumslupe, einer Plattform für Familien, sind wir auf die einzelnen Museen zugegangen und haben sie gebeten, uns ihre Angebote mitzuteilen. Und siehe da: Der Rücklauf war und ist erstaunlich. Die Zahl der Angebote steigt täglich.
Für welche Zielgruppe ist diese Plattform gedacht?
Anfänglich war die Plattform für Kinder, Schüler*innen und Familien gedacht. Nun möchten wir den Blick aber auf weitere Interessierte ausweiten, insbesondere auch auf Menschen, die bisher noch kaum je in einem Museum waren. Online fällt vielleicht eine Hemmschwelle weg, ein Museum zu besuchen. Voraussetzung dafür ist, dass es den Museen gelingt, attraktive Angebote zu kreieren, die lustvolle, kreative, überraschende und geistreiche Zugänge zu ihren jeweiligen Themen erschliessen. Gleichzeitig müssen wir es auch schaffen, diese museumsfernen Kreise zu erreichen, indem wir neue Kommunikationswege suchen. Raus aus dem Museum gilt für diesmal auch für die Verbreitung: Wir arbeiten daran, soziokulturelle Akteur*innen oder Familien allgemein zu erreichen. Das braucht auch für uns eine neue Denkweise und die Bereitschaft, neue Kontakte zu schaffen. Wir arbeiten daran, dass wir in der Zeit der geschlossenen Museen neue Museumsfreund*innen finden können.
Wenn die Arbeit der Kulturvermittelnden und Museen nun vermehrt online und digital stattfindet, besteht die Möglichkeit, dass sich die Auseinandersetzung mit kulturellen Inhalten auf das Internet und die Sozialen Medien verlagert? Kann Online nicht zuviel werden?
«Museum zu Hause» will nicht, dass Kinder, Familien oder Erwachsene noch mehr oder länger im Internet verweilen – im Gegenteil. Auf unserer Plattform sind viele Angebote zu finden, die weg vom Computer führen und die Konsumierende zu Agierenden werden lässt. Viele Angebote laden dazu ein, mit den Händen und dem Kopf aktiv zu werden; Geschichten zu schreiben, Teile der Wohnung in ein Museum zu verwandeln, die eigene Fantasie zu gebrauchen. Das sind unsere liebsten Angebote – sie funktionieren ein bisschen wie ein Katapult zurück ins reale Leben. Sie verpassen den Nutzer*innen im besten Fall einen kleinen Klaps, motivieren sie zum aktiven Tun und verführen sie zur Kreativität – in ihrem eigenen Zuhause, mit ihren eigenen Mitteln und in ihrem unmittelbaren Umfeld. Ziel ist also, nicht länger online zu sein, sondern online einen Impuls zu geben, damit die Menschen offline aktiv werden. Die entstandenen Resultate dürfen dann aber selbstverständlich und sehr gerne – wiederum im Sinne einer Anregung – online gestellt und geteilt werden (vgl. www.mi-s.ch und www.museumslupe.ch). Und: Im Moment ist über die digitalen Kanäle immerhin eine Auseinandersetzung möglich. Wie in der Arbeitswelt können auch gerade jetzt Formate ausprobiert und neu erfunden werden, die später die Vermittlung vor Ort vielleicht ergänzen oder auch in den Museen zu neuen, partizipativeren Vermittlungsformaten anregen.
Welche Herausforderungen und welche Chancen siehst du in der Entwicklung der Kulturvermittlung und Museumsarbeit im digitalen Raum?
Der Begriff der Kulturvermittlung und ihr Handlungsfeld ist in stetem Wandel. Die Angebote bewegen sich schon lange nicht mehr nur im Bereich der rezeptiven Beteiligung, sondern in der partizipativen: Neue, persönliche Zugänge sollen geschaffen werden – die Museen wollen neu gedacht und vom Publikum mitgestaltet werden. Auch in den digitalen Medien gibt es sehr viele partizipative Formate. Diese für die Vermittlung nutzbar zu machen, ist eine Chance, insbesondere auch, um die jüngeren Generationen anzusprechen. Die grosse Herausforderung besteht aber darin, dass es technisches Knowhow braucht, um ein Online-Programm im digitalen Raum umzusetzen. Die Vermittlungs-Fachleute der Museen müssen ungewohnt schnell – unter erschwerten Umständen – etwas Neues entwickeln, das technisch umsetzbar und inhaltlich sinnvoll ist. Was vorher live im Museum stattgefunden hat, soll online stattfinden können. Das stellt nicht nur hohe Anforderungen an die Inhalte und die Art der Vermittlung, sondern braucht auch Kooperation mit Fachleuten für die technische Umsetzung. Offene Fragen stellen, einladen zum Mitmachen, all das ist nicht selbstverständlich. Einfacher hat es, wer schon vor der Quarantäne online Angebote eingeführt hat.
Was wird mit den neu entstehenden digitalen Formaten in den Museen und im Kulturvermittlungsbereich nach der Coronakrise passieren – oder: Was wäre das Beste, was passieren könnte?
Die Chance liegt in meinen Augen darin, dass die Menschen nach der Coronakrise bewusster mit ihrer Zeit umgehen werden, dass sie Neues kennengelernt haben, dass ihr Interesse geweckt ist. Der beste Fall für die Museen wäre: Schulklassen, Familien, Einzelpersonen haben noch mehr oder überhaupt erst Lust bekommen, in ein Museum zu gehen und dort vor Ort Museum zu erleben. Das würde bedeuten: Museen gewinnen neue Publikums-Segmente dazu. Sie haben in der Coronazeit gemerkt, wie wichtig ein anregender und offen gestalteter Zugang zu ihren Themen ist. Sie haben neue Wege und gute Produkte erfunden, um einen Bezug zu den Objekten im Museum zu ermöglichen. Sie haben gestaunt und sich gefreut über die Beiträge und die Reaktionen ihrer virtuellen Besuchenden. Und im besten Fall haben sie gelernt, dass das Teilen der Deutungshoheit letztlich zu einem Mehrwert führt. Jede geschenkte Geschichte zu einem Objekt, jede Zeichnung die zugestellt wird, ist kostbar. Diese Kontaktnahmen bereiten auf beiden Seiten den Boden, um Partizipation und Herangehensweisen, die kulturelle Teilhabe ermöglichen, künftig zu stärken. Im besten Fall wird das gegenseitige Interesse des Museums an den Besuchenden und der Besuchenden am Museum differenzierter. Die Wertschätzung unterschiedlicher Sichtweisen wird erhöht, das Einbetten einer fremden Realität in den eigenen Alltag ist geglückt. Museen können so ihr Fachwissen gleichberechtigt neben die Sichtweise der Besuchenden stellen.
Was wünschst du dir als Kulturvermittlerin für die Zukunft?
Wir sind Museums- und Kulturfans. Wir arbeiten daran, dass Kultur für immer mehr Menschen eine bedeutende Rolle spielt, denn Kultur ist relevant für die gesamte Gesellschaft. Die Museen sind mit Bedeutung aufgeladen, dort ist es schön, spannend, aufregend, prickelnd. Dies wollen wir nicht nur selbst immer wieder erleben und zwar – wenn immer möglich – live vor Ort, sondern wollen auch andere dahin führen, dass sie es für sich selbst entdecken. Im Weiteren wünsche ich der Kulturvermittlung, dass sie an Bedeutung gewinnt und sich das auch in einer verstärkten Aus- und Weiterbildung niederschlägt. Und dass sich auch mehr Menschen ausserhalb der Museen und des Kulturbereichs dafür interessieren, die aus ihrer Warte heraus die Kulturvermittlung als wichtige sinnstiftende Auseinandersetzung erleben, sich dafür einsetzen wollen und sich darum bei Kuverum oder an ähnlichen Lehrgängen anmelden.
Letzte Frage an dich: Welche Partner waren an der Entwicklung der Website museumzuhause.ch beteiligt?
Das Projekt baut auf dem Lehrgang Kuverum Kulturvermittlung und dessen Netzwerk auf. Zudem waren wir durch «GiM – Generationen im Museum», das Projekt, das von Kuverum Services in Zusammenarbeit mit Migros-Kulturprozent und weiteren Partnern umgesetzt wird, schon mit vielen Museen in Kontakt. In Zusammenarbeit mit den Museen, die beim Kinder- und Familienportal Museumslupe.ch mitmachen, hatten wir weitere Kontakte und konnten diese nutzen. Dank der grosszügigen Unterstützung der Stiftung Mercator Schweiz konnten wir die Site realisieren. Wichtig im Team war Theo von Däniken für das Konzept, die Idee und Realisation. Im Weiteren haben Veronica Carmine, Koordinatorin GiM/GaM für die italienische Schweiz, Sylvie Pipoz, Koordinatorin GiM/GaM für die französische Schweiz, Daniela Mittelholzer, Kunstmuseum St.Gallen, Adriana Rey, Social Media, Gaby Ruppanner, Museumslupe.ch, Florian Rudolph, Videos und Julia Rudolph, Administration im Team mitgewirkt. Ein Dank gilt auch den Museen, die unkompliziert ihre Beiträge teilen und bei der gemeinsamen Verbreitung mithelfen.
Herzlichen Dank, liebe kreative Leute von Kuverum, zu eurem Neusten Streich museumzuhause.ch. Das Bild vom Katapult, das online-Ideen zurück ins richtige Leben katapultiert, damit wir nicht vergessen, selber tätig zu werden, trifft absolut ins Schwarze. Ich werde es mir jedenfalls merken. Herzliche Grüsse, Tina